Verwandt mit einer Mörderin aus der Sächsischen Schweiz

Ein Klinikangestellter aus dem rheinland-pfälzischen Hunsrück erfährt durch ein Buch von seiner Verwandten – die wurde 1852 öffentlich enthauptet.

Von MATTHIAS SCHILDBACH, erschienen in der Sächsischen Zeitung am 10. November 2023

Eiskalt lief es dem 52-jährigen Gerhard Rehn über den Rücken, als er wie so oft nach Feierabend durchs Internet googelte, auf der Suche nach Informationen über seine Vorfahren. Diese kamen im 19. Jahrhundert aus dem sächsischen Markersbach, gelegen an der damals böhmischen Grenze zwischen Hellendorf und Gottleuba. Als er auf das Buch „Der Fall Rehn“ des Markersbacher Chronisten Marco Schröder stieß, zögerte er nicht lange und bestellte es. Eine ganze Nacht ging für die Lektüre drauf, so Gerhard Rehn, und am nächsten Morgen wusste er es: Die Schwester seines Vorfahren Johann Gottlieb Rehn, geboren 1801 in Markersbach, war die Kindsmörderin Henriette Rehn. Die SZ sprach mit ihm über den Fall und die Familie.

Herr Rehn, welche Verbindung gibt es zwischen Ihnen und dem Buch „Der Fall Rehn“ von Marco Schröder?

Ganz einfach, mein Name ist Rehn und ich trage somit denselben Namen wie die Hauptperson im Buch. Der Vater der Mörderin Henriette Rehn ist mein Ur-Ur-Ur-Großvater, ihr Halbbruder mein Ur-Ur-Ur-Ahn. Damit wäre die Mörderin Henriette Rehn ihre zigfache Urgroßtante. Wie fühlt sich das an?

Seit ca. 20 Jahren war mir bekannt, dass die letzte öffentlich mit dem Schwert hingerichtete Person in Sachsen eine Henriette Rehn war. Da ich nicht wusste, dass sie aus Markersbach stammte, hatte ich nicht einmal die Vermutung einer Verwandtschaft zu mir. Durch den Kontakt mit Marco Schröder ist diese erst bestätigt worden. Da hatte ich mich erst einmal hingesetzt, tief durchgeatmet und mir gedacht, die hat mir gerade noch in der Sammlung gefehlt. Aufgrund der zeitlichen und auch weiten verwandtschaftlichen Entfernung zu Henriette Rehn habe ich die nötige Distanz, mich ihrer Tat nicht schämen zu müssen.

Ist in Ihrer Familie das Wissen um Henriette und ihre Mordtat bekannt gewesen oder wurde darüber gesprochen?

Nie ist ein Wort in meiner Familie über Henriette und ihre Tat gefallen. Zu Markersbach gab es auch nie irgendwelche Verbindungen. Als meine Oma 1980 starb, fanden wir ein kleines Notizheft mit der Aufschrift „Ahnen“, in welchem der älteste Ahn Ernst Gottlieb Rehn, geboren 1833 in Markersbach, stand. Dieser Ernst Gottlieb war der Neffe der Mörderin Henriette. Ich denke, als Ernsts Bruder Johann Gottlieb 1888 starb, sind auch die restlichen verwandtschaftlichen Beziehungen verkümmert. Mein Vater ist 1955 mit 17 Jahren in den Westen gekommen und ihm war seinerzeit die Familiengeschichte egal. Erst als ich mich mit der Familienforschung befasste und ihn nach unserer Familie befragt hatte, wurde ihm klar, wie viel Wissen verloren war.

Es gab im Vorfeld der Recherchen zum Buch Bedenken einer sehr weitläufig Verwandten in Sachsen, dass damit „missliebige Tatsachen“ an die Öffentlichkeit gelangen und heute noch lebende Nachfahren in Misskredit gebracht würden. Wie sehen Sie das?

Ich stehe offen zur Verwandtschaft zu Henriette Rehn. Natürlich werden einige sagen, der hat eine Kindsmörderin als Verwandte, aber diese ist da und ich habe sie mir nicht ausgesucht. Über solchen Aussagen stehe ich drüber! Mich bringt man mit den Tatsachen, welche durch Recherchen an den Tag gelegt werden, nicht in Misskredit. Vor allem, wenn Fakten objektiv zusammengestellt und betrachtet werden, wie es in diesem Buch geschehen, sind sie eher wie ein Sechser im Lotto für jede Familienforschung.

Was empfinden Sie gegenüber Henriette Rehn?

Beim Lesen des Buches habe ich versucht, Henriette gegenüber objektiv zu bleiben, da mir ihre Tat bewusst war. Ihre Kindheit, der frühe Tod des Vaters und die ganzen Lebensumstände – und vor allem das Ende, ein Drama und leider Realität dieser Zeit. Ihre Tat macht mich immer noch wütend, ein Mord an einem zweijährigen Kind geht gar nicht. Wiederum nach ein paar Tagen des Nachdenkens habe ich Mitleid mit ihr. Vor allem hätte keine Handvoll Menschen von den Schaulustigen der Hinrichtung ihr im wahren Leben geholfen!

Wie hat Ihnen das Buch denn als Leser gefallen?

Als ich das Buch bekommen hatte, musste ich am selben Tag in eine Verbandsgemeinderatssitzung und am Abend noch in eine Theaterprobe – ich spiele leidenschaftlich gern Theater in meiner Freizeit. Danach habe ich bis tief in die Nacht gelesen, es hat mich einfach gefesselt. Übernächtigt hat mir am nächsten Tag meine Frau an den Kopf geworfen: „Du und deine Verwandtschaft, wer ist jetzt dazugekommen?“ Am nächsten Tag war mein Buch weg und wer hat es gelesen? Natürlich meine Frau und sie war begeistert. Wir waren beide derselben Meinung: Es ist ein Buch, das jeder lesen kann und jeder kommt auf seine Kosten. Vor allem das verwendete Bildmaterial macht es nicht nur informativ, sondern auch optisch qualitativ hochwertig.

Ein sächsischer Kriminalfall in Rheinland-Pfalz, am anderen Ende der Bundesrepublik. Passt das?

Warum nicht? Das Drama um Henriette Rehn hätte in dieser Zeit auch in allen Teilen Deutschlands stattfinden können und ich denke, das hat es auch, nur unter anderen Namen und Schicksalen. Dieser sächsische Kriminalfall ist für mich nicht nur ein regionaler Fall. Ich denke einen Schritt weiter und könnte mir für diese Geschichte eine Verfilmung vorstellen, das Potenzial wäre da!

 

Zurück
Zurück

Geschichten über Liebe, Armut und Uhrmacher in Markersbach

Weiter
Weiter

Auf neuer Mission: Der Bombersucher schreibt seine Story für England