Auf neuer Mission: Der Bombersucher schreibt seine Story für England

Abgestürzte Kampfflugzeuge haben das Leben des Matthias Schildbach umgekrempelt. Vor zehn Jahren fing alles an, in der Dippoldiswalder Heide.

Von JÖRG STOCK, erschienen in der Sächsischen Zeitung am 09. November 2023

Am Antonsweg in der Dippser Heide ist Begängnis. Die Pilzsucher sind los, mit Körben und mit Messern. Matthias Schildbach schaut leicht belustigt drein. Viele Jahre ist er selber hier herumgestiefelt. Vor dem Spätdienst als Pfleger im Behindertenheim pirschte er durchs Unterholz. Seine Augen sind noch immer daran gewöhnt. „Meinen Sie, dass wir Metall finden?“

Auf Pilze hatte es der Heimatforscher Matthias Schildbach aus Kreischa nie abgesehen bei seinen Streifzügen. Er suchte Spuren eines Betriebsunfalls des Krieges. Als am 17. April 1945 ein amerikanischer Bomberstrom auf Dresdens Bahnanlagen zusteuerte, kollidierten zwei der fliegenden Festungen bei einem Sinkmanöver und zerbarsten. Kleinteile liegen bis heute hier verstreut, neben den Maronen, Rotkappen und Birkenpilzen.

Für den Fall, dass er die Wette verliert, hat Matthias Schildbach etwas von den schätzungsweise dreihundert Kilo Flugzeugschrott mitgebracht, die er bisher eingesammelt hat. Das Glanzstück der Kollektion muss man zu zweit aus dem Auto wuchten. Es ist ein Rotorblatt. Schildbach nimmt es gern zu Vorträgen mit. „Das macht alles um einiges begreifbarer“, sagt er. „Als wenn man nur darüber erzählt.“

Das Aluminiumteil ist beinahe so groß wie Schildbach selbst. Drei davon an einem Triebwerk, vier Triebwerke an einer Reihe. „Da hat man die Ausmaße vor dem inneren Auge.“ Matthias Schildbach denkt, dass das Rotorblatt zu jenem Bomber gehört hat, der den anderen mit seinen Propellern zersäbelte. Daher die parallelen, leicht kreisförmigen Narben im Metall. Eine Interpretation. „Es gibt keinen, der uns das genau sagen kann.“

Vor zehn Jahren hatte Schildbach den Flugunfall über der Heide schon weitgehend rekonstruiert und zwei Aktenordner mit dem Thema gefüllt. An die Öffentlichkeit war er nicht gegangen. Da bekam er einen Tipp: Bei seiner „Pilzstelle“ seien Kampfmittelräumer zugange. Schildbach fasste einen Entschluss. „Wenn das Zeug in den Ordnern einen Sinn haben soll, lege ich jetzt alles auf den Tisch.“

„Die Sache mit den Bombern hat mir meine berufliche Freiheit gebracht. Ich bin kein Angestellter mehr und kann machen, was ich möchte.“

Matthias Schildbach

In den Ordnern steckte auch die Kopie des Ladebefehls für den Angriff an jenem Tag. Jede Maschine hatte 14 Splitterbomben zu je 500 Pfund an Bord zu nehmen. Auch die beiden Unglücksmaschinen müssen diese Last getragen haben. „Damit war klar, dass 28 Bomben zu erwarten waren.“

Dem Räumstellenleiter, in dessen Bauwagen Matthias Schildbach kurz darauf saß, ging ein Licht auf, wieso neben den Patronen und Granaten, die hier immer mal gefunden worden waren und die zu bergen sein Auftrag war, so komisches Blech mit englischer Schrift aufgetaucht war, das Armaturenbrett einer B-17, wie sich herausstellte. Eine Fliegerbombe hatten seine Leute auch schon entdeckt. Als Sachsens damaliger Chefsprengmeister Thomas Lange wenig später vor der Presse mitteilte, sein Team werde in Kürze elf amerikanische Fliegerbomben entschärfen, fielen den Anwesenden die Kinnladen runter. Die Geschichte, die Lange dazu erzählte, machte es offenkundig: Da hatte einer sehr viel mehr gewusst von den Kriegsaltlasten, als die Polizei. Am Rande der Entschärfungsaktion, die am 12. November 2013 glücklich verlief, offenbarte sich Matthias Schildbach, eine Kiste Flugzeugschrott als Gewähr im Kofferraum, dem SZ-Reporter.

So wurde Schildbach „Der Bombensucher“, das Gesicht auf Seite 3 in der Sächsischen Zeitung. „Es war eine adrenalingeladene Zeit.“ Nicht nur, dass er infolge des Berichts seine heutige Frau kennenlernte. Durch die Kooperation mit den Kampfmittelräumern, die nun Bombe auf Bombe entdeckten, aber auch so manchen Beifund - Flugzeugteile, Ausrüstung, persönliche Habe - verdichtete sich Schildbachs Bild vom Absturz immer mehr. Es verdichtete sich bis zum Buch. Im Sommer 2018 legte Matthias Schildbach „Mid Air Collision“ vor. Die ersten 150 Exemplare waren vergriffen, noch bevor sie gedruckt waren. Schildbach schob nach. Bis heute sind etwa 1.300 Stück verkauft.

Schildbach schildert nicht bloß Fakten. Ihm geht es auch, und vielleicht vor allem, um Schicksale. In Amerika hat er Nachfahren der Bomberflieger ausfindig gemacht, manche persönlich getroffen. Er hat viel gelernt dabei, sagt er. „Dass das keine Luftterroristen waren, sondern Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen in den Krieg geschickt wurden.“

Matthias Schildbach spricht vom „Hype des Krieges“, der die jungen Leute mitriss. „Ob das, was sie taten, immer rechtens war, sei dahingestellt.“ Unrecht war ohne Zweifel, was Lieutenant Nathaniel Shane, dem Co-Piloten eines der Absturzbomber, widerfuhr, nachdem er am Fallschirm auf einem Feld bei Reinhardtsgrimma gelandet war. Ein SS-Mann erschoss den Wehrlosen und ging dann unerkannt seiner Wege.

Unerkannt blieb der Täter bis zuletzt. Er verstarb 2015 in Luzern, Schweiz. Er hieß Ernst Rudolf Neumann. Nach Jahren des Suchens war Matthias Schildbach im Sommer 2021 auf seine Spur gestoßen, fand seinen Namen in einem Kirchenbuch. „Da läuft es dir kalt den Buckel runter.“ Er erstattete Anzeige wegen Mordes.

Dass der Täter tot war, erleichterte den Forscher. Der Gedanke an einen Greis vor Gericht behagte ihm keineswegs. Viel lieber brachte Schildbach Familienangehörige Neumanns mit dem Neffen des Mordopfers, Larry Shane aus Miami, Florida, zusammen. Alle gemeinsam umarmten sich am Tatort auf dem Reinhardtsgrimmaer Acker. „Ein ganz toller Moment.“

Die zehn Jahre seit dem ersten Bombenfund in der Dippser Heide haben Matthias Schildbach in seinem Eifer bestärkt. „Wer Interesse hat für die Geschichte, der kann Vorgänge auch noch nach vielen Jahren minutiös recherchieren.“ Er ist inzwischen in die Lausitz gezogen. Als Pfleger arbeitet er nicht mehr. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht und diesen Sommer einen eigenen Verlag gegründet.

Im Programm sind zehn Buchtitel. Die Bombensache wird eine Neuauflage erhalten. Pen & Sword Books in England will die Story drucken. Bis Sommer 2024 muss Schildbach das Manuskript abliefern, auf Englisch. Hat der „Bombensucher“ dann endlich seine Ruhe? Er feixt nur. Weil er das schon oft gedacht hat. „Und wenn du denkst, es ist vorbei, dann kommt wieder irgendwas Neues.“

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