Vergessenen Mordfällen auf der Spur
Matthias Schildbach schreibt historische Bücher. Grundlage sind echte Kriminalfälle. Vor Kurzem ist er nach Eibau gezogen. Auch in der Gegend hat er schon Stoff für neue Geschichten entdeckt.
Von ANDREA THOMAS, erschienen in der Sächsischen Zeitung am 18. Januar 2023
Matthias Schildbach interessiert sich für Regionalgeschichte, vor allem aber für längst vergessene Kriminalfälle. Begibt sich der Heimatforscher auf Spurensuche, macht er oft erstaunlichste Entdeckungen. Als er beispielsweise für sein Buchprojekt zu einem Kindesmord-Prozess aus dem Jahre 1852 recherchierte, stellte er verblüfft fest, dass das Opfer Amalie Auguste Müller mit ihm verwandt war. „Plötzlich ist man persönlich in einen Fall involviert, den man bisher als Außenstehender betrachtet hat. Das ist krass!“, erzählt der Hobby-Detektiv. Er gibt jedoch zu, dass ihn dieser außergewöhnliche Sachverhalt bei seiner Arbeit zusätzlich motiviert habe.
Seit Juli 2022 lebt Matthias Schildbach mit seiner Frau und den drei Kindern in Eibau, wo er gerade sein Umgebindehaus saniert, um es in ein Schmuckstück zu verwandeln. Zuvor lebte die Familie in Kreischa. Seine Arbeit als Heimatforscher und Autor setzt er auch in der Oberlausitz fort. Schildbach schreibt Bücher über spannende historische Kriminalfälle, wie den von Amalie Auguste Müller, und veröffentlicht sie im Selbstverlag. Auch für die Sächsische Zeitung schreibt er über Spannendes aus der Vergangenheit. Trotz der kurzen Zeit in der Oberlausitz spricht er bereits von heimatlichen Gefühlen. Sogenannten Oberlausitzer Granitschädeln sei er noch nicht begegnet, meint er lachend. Im Gegenteil, die Leute seien offen und freundlich. Er hofft, hier oder in der Umgebung bald auch beruflich mit einer ausfüllenden Tätigkeit Fuß zu fassen. Und gern würde er sich nach Abschluss der Bauarbeiten am Haus ehrenamtlich engagieren.
Für Geschichte interessierte er sich schon immer. Als der 16-jährige Matthias im Haus seiner Großeltern in Kreischa eine Ahnentafel entdeckte, wurde daraus eine große Leidenschaft. Der Fund reizte den jungen Mann, sich tiefgründiger mit der Vergangenheit seiner Familie auseinanderzusetzen. Er beschloss, die Ahnentafel weiterzuführen. Inzwischen ist diese weiter verzweigt und reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Wie viel Zeit und Taschengeld er dafür investiert hat, weiß der heute 45-Jährige nicht mehr genau. „Da kam einiges zusammen, schon an Fahrtkosten zu bestimmten Orten“, meint er und erklärt, dass man mit der Ahnenforschung unweigerlich tiefer in die Regionalgeschichte vordringen musste. „Das alles war unglaublich spannend. Ich staunte immer wieder, wie plötzlich vieles, wonach ich gesucht hatte, greifbar wurde.“ Begeisterung spricht aus seinen Worten.
Gern hätte Matthias Schildbach Geschichte studiert. Er lernte aber den Beruf des Buchhändlers. Da er sich in seiner Freizeit aktiv nur Denkmalpflege und Archäologie beschäftigt, könnte er sich vorstellen, in einem dieser Bereiche oder im Museum auch hauptberuflich zu arbeiten. Seine umfangreichen Erfahrungen als Heimatforscher spiegeln sich in seinen Büchern.
Ausgezeichnet mit dem Sächsischen Landespreis für Heimatforschung, landete Schildbachs 2018 erschienenes Erstlingswerk „MID AIR COLLISION“ einen Achtungserfolg. Darin wird die authentische Geschichte des Absturzes zweier Bomber der US Army Air Force am 17. April 1945 in Dresden thematisiert. Jahrelang hatte er dazu geforscht und dabei bemerkenswerte Tatsachen ans Licht gebracht, die bei der Klärung noch offener Fragen halfen.
Seitdem hat er als Selbstverleger den Buchmarkt mit weiteren vier Publikationen bereichert. Seine letzte, „Der Fall Rehn“, ist erst Ende 2022 erschienen. Im Mittelpunkt der Handlung steht das Schicksal der Henriette Rehn, die 1852 ihr Kind auf brutalste Weise ermordete und deshalb zum Tode verurteilt wurde. Als letzte öffentliche Hinrichtung mit dem Schwert sorgte der Fall seinerzeit für Furore, geriet aber später in Vergessenheit. In Markersbach dagegen, dem Geburtsort der Täterin, kursierten weiterhin Gerüchte und Anekdoten um das unfassbare Geschehen. 2001 stieß der Ortschronist Marco Schröder auf eine diesbezügliche Notiz. Zwei Jahrzehnte später beschloss der Gymnasiallehrer, der inzwischen in Baden-Württemberg lebt, der Sache auf den Grund zu gehen, indem er sich Kopien der Akten zum Fall Rehn aus dem Dresdner Staatsarchiv besorgte. In seinem Freund Matthias Schildbach fand er einen Co-Autor.
„Zwischen uns beiden stimmt die Chemie. Man muss nicht immer einer Meinung sein. Wenn man kritik- und kompromissfähig ist, miteinander auf Augenhöhe reden kann, dann passt es einfach“, lobt Schildbach die Zusammenarbeit. Der Germanist Schröder übernahm das Transkribieren der fast 600 Kopien sowie das Verfassen des Textes. Schildbach kümmerte sich unter anderem um Layout, die Klärung von Bildrechten sowie Druck und Marketing. Gemeinsam besuchten sie Orte der Handlung, werteten Quellen aus. Ein reichliches Jahr später war das Werk druckreif.
Das Buch unterscheidet sich von herkömmlichen historischen Romanen. Beide Autoren verbürgen sich dafür, dass sich mehr als 80 Prozent des Dargestellten auf tatsächliches Quellenmaterial beziehen. Das betrifft wesentliche Handlungsstränge, wie Henriettes Leben, den perfide eingefädelten Mord sowie den Prozess. Akten oder andere Überlieferungen bezeugen, dass die agierenden Personen wirklich gelebt haben. Sogar die Darstellung der Wetterverhältnisse an bestimmten Tagen, der Verweis auf Zugfahrpläne und Kirchenlieder basieren auf tiefgründiger Recherche. Lediglich kleinere „Nullstellen“ wurden durch logische Verknüpfungen, naheliegende Interpretationen oder moderate Ausschmückungen gefüllt. An einigen wenigen Stellen konnten auch Witz und Ironie nicht zu kurz kommen.
Augenzwinkernd verrät Matthias Schildbach, dass er auf der Spurensuche längst vergessener Mordfälle auch in der hiesigen Gegend bereits fündig geworden ist. An Inhalten für sein nächstes Buch mangelt es also nicht. Vielleicht wird es sogar Stoff für das Drehbuch zu einem Film.