Heimatgeschichte von der Oberlausitz bis ins Erzgebirge
Matthias Schildbach betreibt einen kleinen Verlag. Geschichtliche Ereignisse sind es, die ihn am meisten fesseln. Kommt noch ein bisschen Mystik, Ungeklärtes oder Grusel dazu, haben seine Bücher die spannenden Zutaten seiner Werke. Vom Autor sind sie allesamt haargenau recherchiert und in einer Art und Weise zusammengetragen, wie wir es von den besten Thrillern der Weltliteratur kennen. Nur ist der Inhalt eben nicht fiktiv, sondern trug sich genau so hier in dem äußerst geschichts- und geschichtenreichen Landstrich zwischen der Oberlausitz und dem östlichen Erzgebirge zu.
Der Schildbach-Verlag für Heimatgeschichte arbeitet mit den Autoren Marco Schröder und Hans-Joachim Rühle zusammen.
Ein Interview mit dem Autor und Verleger Matthias Schildbach, erschienen im Granit Magazin am 1.Mai 2024
Matthias, welche Gegend würdest du für dich als Heimat bezeichnen?
Meine Heimat ist da, wo ich groß geworden bin, wo ich jeden Baum und Weg kenne: Kreischa, eine Landgemeinde südlich von Dresden, am Fuß des Osterzgebirges. Aber das „heimisch sein“ fühle ich inzwischen auch in Gegenden wie dem Tharandter Wald, dem Elbtal bei Pirna, der Sächsischen Schweiz und dem Hohwald bis ins Oberland und nach Zittau.
Was macht diese Gegenden für einen Autor und Geschichtsinteressierten so spannend?
Ganz einfach: Über eintausend Jahre menschliches Wirken und Gestalten im Guten wie im Machtbereichen zu Kriegsschauplätzen und als Spielball der Mächte genutzt. Aber auch die Geschichte im Kleinen fasziniert mich: wie die Menschen in verschiedenen Epochen gelebt haben, was sie bewegt und berührt hat, was sie alles erdulden mussten oder welche Kräfte sie mobilisiert haben, um Neues zu schaffen. Solche Episoden gibt es zu Tausenden zu erzählen, man muss sie nur aufspüren.Schlechten. Diese Regionen wurden durch ihre Lage zwischen großen
Welche Zeit hat es dir dabei besonders angetan?
Die tragischen Epochen der Neuzeit faszinieren mich besonders, wie der Dreißigjährige Krieg, der Siebenjährige Krieg, die Napoleonzeit oder der Zweite Weltkrieg. Tragische Ereignisse sind nicht weniger schlimm, nur weil sie lange her sind. Im Gegenteil, man muss sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Das vergessen heute viele, bis hinauf in höchste staatliche Instanzen. Vor einigen Jahrzehnten wurde beispielsweise noch viel intensiver und mahnender an das Leid der Kriegszeit erinnert als heute, wo es hieß, „Nie wieder Krieg!". Heute hat es den Anschein, als ob alles wieder in einen Krieg hineindriftet.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus, wenn du einem Ereignis auf den Grund gehst?
Wenn es spannend wird, ist es hart, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Dann kribbelt es mir in den Gliedern, dass ich auf Expedition gehe oder mich an den Schreibtisch setze und ganz in die Geschichte eintauche. Meine Frau unterstützt mich sehr bei meiner Arbeit. Meine Tage bestehen aus Schreibarbeit, Recherche im Internet und digitalen Bibliotheken oder direkt vor Ort in den Archiven, mit einem angenehmen „Outdoor“-Anteil, in dem ich auf Spurensuche gehe oder Zeitzeugen und Fachleute aufsuche.
Was fasziniert dich im heimatgeschichtlichen Kontext am meisten in der Oberlausitz?
Hier gibt es viele verdiente Heimatforscher, die die Geschichte ihrer Heimat hochwertig aufgearbeitet und wundervolle Schriften dazu publiziert haben. Leider nimmt das Interesse an Heimatgeschichte generationenbedingt ab. Das ist ein generelles Problem im Bereich Ehrenamt.
Hast du in der Oberlausitz ein Thema, das dich besonders fesselt?
Ganz spontan? Die Oberlausitzer Mordfälle! Ich möchte nicht behaupten, dass sie durch besondere Brutalität hervorstechen oder es eine auffällige Häufung gibt. Aber sie sind gut dokumentierter. Der Autor Bernd Raffelt hat mit seiner Buchreihe „Oberlausitzer Kriminal- und Gerichtsfälle“ eine tolle Dokumentation in Buchform vollbracht, leider ist die Reihe, die im Selbstverlag erschien, viel zu wenig beachtet worden. Menschliche Tragödien aktivieren eigene Emotionen, sie nehmen einen mit und haben, so glaube ich, den größten Lerneffekt, um sich selbst etwas daraus mitnehmen zu können.
Haben Heimatgeschichten auch das Zeug, einen ganz tief zu berühren, gerade wenn sie schon lange her sind?
Ja, das kann ich aus eigenem Erleben bestätigen. Das Schicksal einer Magd, die 1750 ihr Kind heimlich zur Welt brachte unter Schock stand und es zurückließ. Das nicht lebensfähig geborene Kind wurde noch am selben Tag gefunden. Es wurde gerichtlich untersucht und der Tod der Mutter quasi zugeschoben. Sie verleugnete jegliche Gewalttaten an ihrem Kind - bis man ihr mit Folter drohte. Da gestand sie. Und zwar alles, was die Gerichtsherren von ihr hören wollten. Dafür wurde sie zum Tode verurteilt und enthauptet. Auf einem Acker im Dresdner Süden. Darüber habe ich das Buch „Decollata - Die Enthauptete" geschrieben, gerade weil es mich so tief bewegt hat und ich Mitleid mit Rosina empfand. Oder als ich 2020 dem bislang unbekannt gebliebenen Mörder eines US-Copiloten auf die Spur kam. Die Identität des bislang namenlos gebliebenen SS-Mannes konnte ich im Zuge meiner Fallrecherchen aufklären. Ich erstattete Anzeige wegen Mordes. Der Mörder war inzwischen gestorben, 2015 in der Schweiz, wo er sich ein Leben lang versteckt hielt. Ein Jahr später führte ich Angehörige des US-Piloten und Angehörige des Mörders an der Stelle zusammen, wo der Mord geschah. Die Begegnung war zutiefst bewegend und emotional, und wir gingen alle freundschaftlich verbunden auseinander. So was erlebt man nicht zwei Mal im Leben, davon bin ich überzeugt.
Du konzentrierst dich ja vor allem auf die Oberlausitz und das östliche Erzgebirge. Beide Regionen werden durch die Sächsische Schweiz verbunden. Die Menschen im bergigen südöstlichen Sachsen haben sicher viele Gemeinsamkeiten?
Ja, die Gemeinsamkeiten sind die Unterschiede! (lacht) Der Schlag der Menschen ist in diesem etwa 100 Kilometer breitem Landstreifen unterschiedlicher, wie er nicht anders sein könnte. Die Osterzgebirgler sind von Grund auf liebenswürdig, freundlich und authentisch. Im Pirnaer Raum bis in die Sächsische Schweiz findet man städtische Strukturen und Denkweisen, Anonymität gegenüber dem eigenen Nachbarn, viele aufs Land Gezogene, die sich oft nicht mit dem Ort identifizieren, wo sie leben. In den Dörfern der hinteren Sächsischen Schweiz sieht das wieder anders aus, hier hat der Tourismus das Sein geprägt und die raue Natur. Der Hohwald bei Neustadt trennt die eine von der anderen Region radikal ab: Dahinter liegt das „Urngebindeland". Und hier begegnet man dem Oberlausitzer: eigensinnig, stets aufs Bewährte bedacht. Nirgendwo sonst hört man so oft „Das war schon immer so!" - und damit meint der Oberlausitzer, dass es auch so zu bleiben hat. Das Traditionsbewusstsein und das Heimatgefühl ist hier am allerstärksten. Und ganz nah dran entlang dieses Landstreifens, die Tschechen, unsere vertrauten, doch aufgrund der Sprachbarriere doch so fremden Nachbarn.
Wie bist du eigentlich zum Schreiben gekommen?
Als gelernter Buchhändler hat mich das geschriebene Wort schon immer angezogen. Mit dem Schreiben habe ich tatsächlich mit 22 Jahren während meiner Zeit bei der Bundeswehr begonnen. Da gab es langweilige Bereitschaftsphasen, die ich mit dem Verfassen he1matgeschichtlicher Beiträge für das Amtsblatt meines Heimatortes ausgefüllt habe. Positives Feedback hat mich dann immer weiter angetrieben, eiterzumachen. Nach längere'!" Pause begann ich wieder im Alter von 35 Jahren, als ich mit Sachsens größter Bergungsaktion von 11 Fliegerbomben an einem Tag in Berührung kam, besser gesagt, sie durch meine Recherchen ausgelöst hatte.
Viel Lebenszeit hast du in alten Häusern verbracht, auch ein Umgebindehaus war dabei. Welche Inspirationskraft haben denn historische Häuser für dich?
Das alte Haus, egal welches, hat meist mehrere Jahrhunderte überdauert und, ich bin nur ein kurzes Kapitel in dessen Geschichte. Hier wurde geweint, gelacht, gestritten, gefeiert, Entscheidungen gefällt, sicher gab es hier auch Tragödien. Unzählige Kinder erblickten in diesen Räumen das Licht der Welt und die Alten starben hier. Holz- und Lehmwände schaffen ein angenehmes Raumklima, abgesehen vom optischen Aspekt, der einfach Freude macht. Im Wintersturm hört man das leise Klappern der Fassadenschindeln und wenn der Kaminofen brennt, knacken zum Beispiel die Holzbohlen der Blockstube mit. Herrlich ist das. Solch eine Atmosphäre können Betonwände nicht rüberbringen.
Du hast selbst Kinder, davon eins im Grundschulalter. Wie gelingt es, ein Geschichtsinteresse bei Kindern zu wecken? Warum ist das wichtig?
Seit mehreren Jahren leite ich Ganztagsangebote an Grundschulen. Nicht immer wurde das Angebot, eine GTA zur Heimatgeschichte durchzuführen, von den Schulen angenommen. Bei der Lehrerschaft fällt dieses Thema gern als „unwichtig“, durch. Sport, Basteln, Erste-Hilfe, das sind Themen, die einen höheren Stellenwert genießen. Das Bewusstsein um die eigene Geschichte, Traditionen und Ereignisse sind dennoch unverzichtbar. Weil es dabei um ganz Grundlegendes geht: Warum steht der Kretscham im Dorf? Was ist das überhaupt? Wozu bauten die Leute früher große Kirchen? Wie sind unsere Orte entstanden, was war vorher hier? Was sind die Sechsstadte, oder warum gibt es in der Oberlausitz so wenig Burgen? Auf all diese Fragen können Menschen unter 30 kaum noch Antworten geben. Das finde ich traurig. Statt dessen entstehen durchs Internet geprägte neue Scheinidentitäten, zu denen man sonntags am Straßenrand die abenteuerlichsten Flaggen schwenkt und keine Ahnung hat, welcher historische Kontext dahinter steht. Kinder bekommt man gut über Spaß, Spiel und Spannung auf das Thema gelenkt. Welches Kind hört nicht gern spannende Geschichten aus alten Zeiten, die ein bisschen mit Grusel und Humor gewürzt sind und wo es dann auch noch in der Realität was dazu zu entdecken gibt?! Jahreszahlen in sie hineinzupressen ist völlig sinnlos.
Wo hier in der Oberlausitz und auch im Osterzgebirge ist Geschichte besonders erlebbar? Hast du ein paar Tipps für uns?
Geschichte kann man überall begegnen, schärft man nur die Sinne dafür und hält die Augen offen. Begeisterungsfähig finde ich die mittelalterlichen steinernen Sühnekreuze, die man überall findet und deren Entstehungsgruünde meist mit Morden in Zusammenhang stehen. In der Oberlausitz finde ich die Schlachtfelder um Bautzen spannend: Bautzen 1813, mit den Schauplätzen um den Wohlaer Berg bis hin nach Markersdorf, kurz vor Görlitz. Oder die Löbauer Altstadt mit dem aufgelassenen alten Friedhof an der Straße der Jugend. Tragisch finde ich das Schicksal des böhmischen Dorfes Fugau bei Oppach, das, im seltsamen Grenzzipfel bei Oppach gelegen der tief in sächsisches Gebiet hineinragt und in den 1960er Jahren dem Erdboden gleich gemacht wurde. Jenseits des Hohwaldes haben die Felsenburgen der Sächsischen Schweiz eine Anziehungskraft, die allesamt Raubritternester waren oder die historischen Bergschauwerke im Osterzgebirge wie in Altenberg, Zinnwald oder Bad Gottleuba. Diese Liste ist eigentlich endlos weiterführbar
Welche Themen beschäftigen dich gerade?
Das große Projekt, an dem ich derzeit arbeite, ist ein Buch für einen englisch-amerikanischen Verlag. Es behandelt die Luftkriegsereignisse des 17. April 1945. An diesem Tag griff eine gewaltige Bomberstreitmacht der Amerikaner Dresden und Städte in Nordböhmen an. Nachdem die Bomben abgeworfen wurden und die Bomber wieder westwärts flogen, stürzten sich über 500 Jagdflugzeuge des Begleitschutzes auf deutsche Bodenziele wie Bahnanlagen und Flugplätze. In der Oberlausitz waren die Flugplätze Bautzen und Kamenz betroffen, aber auch Ziele im Raum Riesa, Freiberg, Dippoldiswalde und drüben im tschechischen Usti und Kladno. Mit diesen Ereignissen sind viele noch ungeklärte Schicksale verbunden, vor allem von amerikanischen Piloten, die an diesem Tag abgeschossen wurden und spurlos verschwanden. Darüber hinaus schreibe ich die Heimatgeschichte für die Sächsische Zeitung im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und bereite die Neuerscheinungen für dieses Jahr in meinem Heimatbuchverlag vor.
Stichwort Lesungen: Welche Möglichkeiten gibt es für Veranstalter, mit dir zusammenzuarbeiten
Das erste Halbjahr 2024 ist mit Vorträgen und Lesungen schon ausgebucht. Über 20 Veranstaltungen sind zwischen Osterzgebirge und der Neiße geplant. Ich bin gerade dabei, die zweite Jahreshälfte zu füllen. Wer Interesse an Lesungen und Vorträgen zu meinen Büchern, zu Heimatgeschichten der Region oder zu ganz bestimmten Themen hat, kann mich gerne über das Formular auf meiner Webseite kontaktieren. Ich bin offen und lasse mich gerne auf die Wünsche der Veranstalter ein.
Vielen Dank, Matthias.