,,Auch unangenehme Kapitel aufarbeiten“
Matthias Schildbach geht in der Region auf Spurensuche. In Burkhardswalde stellt er jetzt die Geschichte eines amerikanischen Fliegers vom April 1945 vor.
Von HEIKE SABEL, erschienen in der Sächsischen Zeitung am 30. September 2021
Geschichte findet nicht nur in der weiten Welt statt, sondern auch vor unserer Haustür. Seit Jahrhunderten und jeden Tag wieder. Oft geht sie unter oder wird verschwiegen, weil sie unangenehm ist. Matthias Schildbach spürt diese Geschichten von Menschen auf. Zum Beispiel die eines amerikanischen Fliegers, speziell des Bordfunkers. Wie der im Frühjahr 1945 nach Burkhardswalde kam, was aus ihm wurde und was Schildbach bewegt und antreibt, erzählt er im SZ-Gespräch.
Ein Amerikaner in Biensdorf und Burkhardswalde: Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen, Herr Schildbach?
Der Geisinger Horst Giegling fand erste Spuren zu ihm. Er recherchierte 1997 zu amerikanischen Bomberabstürzen in der Region. Eine Zeitzeugin erzählte ihm von einem alliierten Fliegergrab auf dem Burkhardswalder Friedhof. Durch meine spätere Bekanntschaft mit Herrn Giegling kam ich dazu und suchte den Kontakt zur Familie des Amerikaners.
Hat der Amerikaner überlebt bzw. haben Sie seinen Weg weiterverfolgen können?
Als Bordfunker musste er sich Minuten vorm Bombenabwurf in den Bombenschacht begeben, auf einem schmalen Steg über dem Abgrund stehen und die Sicherungen von den Bomben entfernen. Unter ihm waren die Schachtluken bereits geöffnet. Als ein deutscher Jet den Bomber rammte, wurde er herausgeschleudert. Für die anderen Besatzungsmitglieder war es unmöglich, aus dem trudelnden Wrack abzuspringen, das bei Babisnau aufschlug. Der Bordfunker landete in Biensdorf und wurde nach Burkhardswalde gebracht, wo er als Kriegsgefangener ermordet wurde.
Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Region, vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit. Das ist aufwendig. Warum ist Ihnen das wichtig?
Die Geschichte meiner Heimatregion ist meine Leidenschaft. Verbrechen, Tragödien, Kriminalfälle faszinieren mich besonders. Und dass man die schlimmsten Gewalttaten heute aufklären, neu beurteilen und einordnen kann, ist ein besonderer Reiz. Ich möchte auch die dunklen Seiten der Vergangenheit zeigen und dass diese Grausamkeiten hier geschehen sind und nicht fiktive Storys sind. Es motiviert, sich für die Heimat zu engagieren, den Nachbarn freundschaftlich und human zu begegnen. Wenn ich dazu beitragen kann, werte ich das als Erfolg.
Heute ist es viel einfacher, etwas zu erforschen. Da sind höchstens die Menge der Quellen und ihre Richtigkeit das Problem. Welche Quellen nutzen Sie?
Viele Archive veröffentlichen zunehmend ihre Bestände. Der digitale Zugriff auf Archivalien ist eine beeindruckende Erleichterung. Staats- und Kreisarchive sind unermessliche Quellen, aber auch die Werke von Ortschronisten und Heimatforschern, leider viel zu wenig beachtet und gewürdigt. Ich beziehe gern Zeitzeugen ein, wobei die der Weltkriegsjahre bis 1945 immer weniger werden. Am spannendsten ist die Spurensuche vor Ort.
Das Interesse an der Geschichte, vor allem der regionalen, wächst wieder. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Die Menschen gehen wieder entspannter mit dem Begriff Heimat um. Eine offenherzige Liebe zu dem Ort, der Region, wo man seine Kindheit verbrachte oder lebt, kann nicht verwerflich sein. Soziales Miteinander, Engagement in Vereinen, auf kultureller Ebene, im Denkmal- oder Naturschutz können die Früchte sein. Das funktioniert aber nur, wenn man auch die Heimatliebe des Fremden oder Auswärtigen bedingungslos akzeptiert.
Sie stellen nun speziell zu dem amerikanischen Flieger in einer Ausstellung und einem Vortrag in Burkhardswalde Ihre Erkenntnisse vor. Warum?
Mir ist die Brisanz des Themas, vor allem vor dem historischen Hintergrund der Zerstörung Dresdens, bewusst. Ich versuche, die Kenntnisse so objektiv wie möglich zu präsentieren und dem Besucher zu überlassen, sich ein Urteil zu bilden. Gelingt es mir, ihn von einer einseitigen Sichtweise etwas abzurücken und die Geschichte differenziert zu betrachten, sich in die Gegenseite zu versetzen, habe ich etwas erreicht. Es geht nicht darum, sich auf eine Seite zu schlagen, andere Meinungen zu diffamieren oder Recht und Unrecht zu klären. Viel wichtiger ist es, das Schweigen zu brechen, zu diskutieren, miteinander zu reden und offen mit den dunklen Seiten unserer eigenen Geschichte umzugehen.